Der Mann mit den Sohlen aus Wind

1873 lässt ein neunzehnjähriger Gymnasiast seine Jugendgedichte unter dem merkwürdigen Titel Une Saison en Enfer drucken. Er verschickt ein paar Exemplare an ehemalige Schulkameraden und an Freunde in Paris. Der Rest der Auflage bleibt bei der Druckerei liegen. Er scheint augenblicklich das Interesse an der Sache verloren zu haben.

Warum hörte Arthur Rimbaud in einem Alter auf zu schreiben, in dem andere die ersten zaghaften Gedanken an eine Laufbahn als Schriftsteller wagen, um fortan ein Leben als Vagabund und Händler zu bestreiten? Weiterlesen

Die bisexuelle Weltkarte

„Aber ich wollte nicht nur weg.
Ich wollte auch wohin.
Ich wollte in die Welt.
Europa war mir kaum groß genug.
Der Äquator war meine Welt.
Ich war den Afrikanern verwandt, den Lappen, den Mizteken.
Lockstedt war nicht meine Welt.
Ich komme von weither.“

Diese Zeilen aus Hotel Garni (dem ersten Band von Die Geschichte der Empfindlichkeit) umreißen ein ganzes Leben, das Leben des Reisenden und Ethnopoeten Hubert Fichte. Er war „ein Entdeckungsfahrer ins Gebiet des Aberglaubens und der Geisterbeschwörung“ und bewegte sich auf der Grenzlinie zwischen magischer Realität und Tourismus. Er ging Mystifikationen und Riten nach, dabei hielt er sich nicht an die gängigen wissenschaftlichen Methoden, sondern entwickelte eigene Vorgehensweisen. Weiterlesen

Die wilden Jahre in der Sahara

Man muss es sich klar vor Augen führen: Um das Jahr 1900 reist eine junge, hübsche Frau in arabischer Männerkleidung durch die algerische Wüste. Sie reist in Gesellschaft von Soldaten, Händlern und Nomaden durch Gebiete, in denen die Frau nichts zählt. Diese rauen Männer akzeptieren sie als ihresgleichen. Sie ist ungebunden und unerschrocken und will die ganze Freiheit. Zugleich verkörpert sie etwas Zielloses, Verlorenes, Gefährdetes. Weiterlesen

Ein magischer Ort

An einem stürmischen Märzmorgen 1929 geht ein neunzehnjähriger Junge in Hoboken an Bord des Linienschiffes Rijndam, das seine letzte Transatlantikfahrt macht. Die Eltern wissen nichts davon. Zu einem Reisepass ist er durch den Meineid einer Bekannten der Familie gekommen.
Er hat fünfundzwanzig Dollar in der Tasche und drei Empfehlungsschreiben, die ihn bei hilfsbereiten Damen einführen sollen. In Paris vermittelt ihm eine der drei Damen Arbeit als Telefonist beim Paris Herald, eine ermüdende Sache, es wird perfektes Französisch erwartet, eine zweite bietet ihm Essen und Unterkunft an. Als er eine beträchtliche Summe Geld erhält, gibt er seinen Job beim Paris Herald auf und fährt zum Wandern ins Elsass und in den Schwarzwald. Mit einem amerikanischen Couturier reist er nach St. Moritz, Italien, Nizza und Deauville. Nach fünf Monaten kehrt er nach New York zurück. Weiterlesen

Jet Set Nomade

Als Bruce Chatwin berühmt wurde, fragte man Elizabeth, seine Frau, nach seinen typischsten häuslichen Verhaltensmustern. Sie antwortete, die ständige Abwesenheit sei wohl das Typischste an ihm.
Er galt als der reisende Schriftsteller schlechthin. Er muss ein begnadeter Erzähler gewesen sein, der über ein enzyklopädisches Wissen verfügte, frei erfinden und improvisieren und bis zum Umfallen reden konnte.
Dieser ruhelose, gut aussehende, eitle, energiegeladene, wortgewandte und ewig jung gebliebene Bursche schien durch die Welt zu schwirren; ohne feste Bindung, ohne Wurzeln, fasziniert von allem Fremdartigen, ein Irrlicht, das sich bald da, bald dort zeigte. Weiterlesen

Ein bibliomanischer Vagabund

Ein fiebriger, unruhiger Geist – dieser Blaise Cendrars. Abenteurer, Weltreisender, Vagabund. Er war stets auf zwei Kontinenten unterwegs, auf allen Meeren und in allen Häfen der Welt. Du Monde entier heißt einer seiner Gedichtbände: Die ganze Welt! Er probierte vieles aus, zahlreiche Berufe, ohne dass sie ihn wirklich ausgefüllt hätten. Immer waren da ein Gefühl des Mangels und die Angst, woanders etwas Wichtigeres zu verpassen. Sein Reisefieber bezeichnete er als unheilbar.
Die ungewöhnliche, zerklüftete Physiognomie seines Gesichts ist wie eine Land- oder Reisekarte, eine Relief fremder und vertrauter Landschaften zugleich; es manifestiert Ruhelosigkeit und Konzentration in einem. Weiterlesen

Wandern, eine wilde Leidenschaft

Ich lese GEHEN Oder die Kunst ein wildes und poetisches Leben zu führen von Tomas Espedal, ein aus dem norwegischen Bergen stammender Autor. Oh, ja. Darum geht es! Um ein wildes und poetisches Leben. Und um das Gehen. Dass so ein Leben nicht am Laptop zu finden ist, versteht sich von selbst. Man muss zur Haustür hinaus, sich nach links oder rechts wenden und losmarschieren. Die Straße ist ein Versprechen. Wenn ich zur Tür hinausgehe, muss ich an meinen Stock denken. Ohne Stock geht es nicht mehr weit, mit Stock auch nicht. Es bleiben mir nur die Bücher, die ein wildes Leben versprechen. Und die Erinnerungen. Ich war immer gerne zu Fuß gegangen, und ich denke mit Wehmut zurück an die wochenlangen Wanderungen, die A. und ich durch Ladakh und Tibet gemacht haben. Weiterlesen

Unter den Passatwinden

Nach dem Frühstück fuhren wir los, über die Hochebene westlich von Lannion. Richtung Morlaix. Eine Weile führte die Straße der Küste entlang, die grüne Wasseroberfläche war vom Regen grau schraffiert. Bei Sainte-Sève zweigten wir auf die D785 ab, ins Landesinnere, nach Huelgoat. Eine schmale Landstraße. Felder und Wiesen abgesoffen im Nebel und Regen. Düstere Granithäuser. Die Wälder bestanden aus Laub und Feuchtigkeit.
Wir waren unterwegs zum Grab eines der frühen Vertreter intellektueller Vagabunden, in dessen Adern mehr als nur drei Tropfen heidnisches Blut floss. Passatwinde, Meeresengen und Gebirgspässe waren sein Lebensinhalt. Weiterlesen

Der Wind der Straße

Als ich für ein paar Monate nach Berlin fuhr, hatte ich zwei Bücher des schottischen Reisenden und Schriftstellers Kenneth White im Gepäck. Im Zug las ich Der blaue Weg. Eine Reise nach Labrador. „Vielleicht ist die Idee die, soweit wie möglich zu gehen bis ans Ende deiner Selbst – bis zu einem Territorium, wo die Zeit Raum wird, wo die Dinge in ihrer ganzen Nacktheit erscheinen und der Wind weht, anonym.“ Das waren neue, für mein Ohr ungewohnte Töne. Ich hatte plötzlich den Wunsch, weiterzureisen. Dieser ungeheuer weite Raum von Labrador, sein Atem, weckte in mir den Wunsch, weiter zu gehen, immer weiter. Ich fuhr dann doch nach Berlin. Weiterlesen