Pariser Spaziergänge

Dieses Mal wohnten wir an der Rue de Vaugirard. Die Straße beginnt am Boulevard St. Michel, schneidet der Rue de Médicis den Weg ab, führt am Jardin du Luxembourg entlang und in einer langen Geraden hinauf zum Boulevard de Pasteur.
Für den Morgenkaffee gingen wir ins „Le Petit Suisse“, ein kleines Bistro an der Place Paul Claudel, wo, so schien es wenigstens, vor allem Leute aus dem Quartier ihren Kaffee tranken. Sie grüßten sich und schwatzten zusammen. Wir setzten uns draußen auf die Terrasse. Die Luft war kühl, der Himmel blau. Wir fühlten uns selber wie Pariser. Weiterlesen

Genealogie

Die Liebe zu den Büchern habe ich von meiner Mutter. Sie war eine leidenschaftliche Leserin. Mit zwanzig las sie den ganzen Shakespeare. Bei uns zu Hause gab es ein Regal voller Bücher, darunter etliche Bände von Jeremias Gotthelf. Sie haben mich nie interessiert. Was gingen mich die Emmentaler Bauern an? Ich wollte in die Welt. Die großen Städte waren für mich die Welt. Weiterlesen

Monets Garten

Gibt es etwas Phantasieloseres, als Monets Garten und Haus in Giverny zu besuchen, Magnet ganzer Touristenhorden? Und dann die Seerosen, mein Gott, wer kann sie noch sehen? Monet ist doch passé, was die Kunst angeht. Der Impressionismus perfekt, um an den Auktionen Höchstpreise zu erzielen. Trotzdem sind wir hingegangen. Trotzdem hat es sich gelohnt. Trotzdem war es ein Erlebnis. Weiterlesen

Bei Tante Léonie

Es war noch dunkel, als der Schnellzug nach Rennes die Gare Montparnasse verließ. Später tauchten die Umrisse der Kathedrale von Chartres in der Morgendämmerung auf.
Im blau-weißen TER, der nur aus zwei Wagen bestand, ging es über die endlos flache Beauce. Am Himmel ein paar perlmuttfarbige Wolken. Im Laufe des Tages verdichteten sie sich zu einer grauen Wolkendecke und brachten Regen. Auf dem Monitor über der Tür liefen die Namen der Orte, an denen der Zug als nächstes hielt. Nach jedem Halt verschwand ein Name und ein neuer tauchte auf.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie die Familie Proust einst in die schnaufende und zischende Dampfbahn gestiegen und die gleiche Strecke gefahren war, um in Illiers die Osterferien zu verbringen. Marcel war noch ein Knabe. Weiterlesen

Ein Sommer mit Marcel Proust

Lieber Matthias Zschokke
Herzlichen Dank für das freche und schamlose Buch über Marcel Proust. Ich habe es mit einigem Genuss und viel Stirnrunzeln gelesen.
Der Titel ist ein mächtiger Appetitanreger. Ein Sommer mit Proust. Man denkt an eine leichte Brise, glänzende Seen, Grands Hotels und eine betörende Lektüre. Die Tage sind lang und hell, die Seiten tragen einem fort. Ab und zu verändert man die Lage des Körpers, um ihn zu entspannen, dann taucht man wieder ein in diesen fliederfarbigen Lesestrom.
Doch bei ihnen finden sich keine glänzende Seen, keine Sommerbrise, keine träumerischen Lektüreeindrücke. Weiterlesen

Cabourg – Balbec

Wer etwas erleben will, reist nicht nach Cabourg. Das einzige, was man hier tun kann, ist ausspannen, spazieren gehen und den Trabrennern oder den Surfern zuschauen. Die einen treiben ihre Pferde durch die auslaufende Brandung, die anderen versuchen sich weiter draussen auf den Wellen zu halten. Ausser dem endlosen Strand und der vier Kilometer langen Promenade hat der Ort nicht viel zu bieten. Wäre da nicht das Grand Hotel und hätte Marcel Proust hier nicht seine Sommerurlaube verbracht, ich wäre wohl nie auf die Idee gekommen, in das alte Seebad an der normannischen Küste zu reisen. Jede Reise ist eine Entzauberung. Weiterlesen

Neue Schuhe

Neue Schuhe
Vor Bashôs Hütte in Tokyo

Heute habe ich mir ein Paar neue Schuhe gekauft und sie mitten ins Wohnzimmer gestellt. Halbhohe Stiefeletten zum Schnüren, aus weichem braunem Leder, das wie zerknittert aussieht, glänzende Spitzen, rahmengenäht. Wunderbare Schuhe. Ganz nach meinem Geschmack. Die Schuhe, so mitten im Wohnzimmer, haben wie ein Gedicht ausgesehen, ein Gedicht von Gottfried Benn oder Rainer Maria Rilke. Wobei Rilke Knöpfstiefel getragen haben muss, worum ich ihn beneide. Auf dem Heimweg war mir klar geworden, dass es auch anders ginge. Weiterlesen

Bücherdandy

Mit fünfzehn verließ ich die Schule. Acht Jahre habe ich es da ausgehalten. Ich war ein Halbstarker und mochte die Beatles. Ich mochte ihre laute, freche Musik, den unbekümmerten Leichtsinn mit dem sie die Dinge anpackten, ihre Frisuren, die Kleider. Sie standen für einen neuen Lebensstil. John Lennon und der Sioux-Indianer Crazy Horse waren meine Idole.
Der eine, weil er der ganzen Welt seinen nackten Hintern gezeigt hat und der andere, weil er sich geweigert hat, das freie Umherstreifen auf den Plains zugunsten eines sesshaften Daseins in der Welt der Weissen aufzugeben. Weiterlesen