Jet Set Nomade

Als Bruce Chatwin berühmt wurde, fragte man Elizabeth, seine Frau, nach seinen typischsten häuslichen Verhaltensmustern. Sie antwortete, die ständige Abwesenheit sei wohl das Typischste an ihm.
Er galt als der reisende Schriftsteller schlechthin. Er muss ein begnadeter Erzähler gewesen sein, der über ein enzyklopädisches Wissen verfügte, frei erfinden und improvisieren und bis zum Umfallen reden konnte.
Dieser ruhelose, gut aussehende, eitle, energiegeladene, wortgewandte und ewig jung gebliebene Bursche schien durch die Welt zu schwirren; ohne feste Bindung, ohne Wurzeln, fasziniert von allem Fremdartigen, ein Irrlicht, das sich bald da, bald dort zeigte. Weiterlesen

Ein bibliomanischer Vagabund: Blaise Cendrars

Ein fiebriger, unruhiger Geist – dieser Blaise Cendrars. Abenteurer, Weltreisender, Vagabund. Er war stets auf zwei Kontinenten unterwegs, auf allen Meeren und in allen Häfen der Welt. Du Monde entier heißt einer seiner Gedichtbände: Die ganze Welt! Er probierte vieles aus, zahlreiche Berufe, ohne dass sie ihn wirklich ausgefüllt hätten. Immer waren da ein Gefühl des Mangels und die Angst, woanders etwas Wichtigeres zu verpassen. Sein Reisefieber bezeichnete er als unheilbar.
Die ungewöhnliche, zerklüftete Physiognomie seines Gesichts ist wie eine Land- oder Reisekarte, eine Relief fremder und vertrauter Landschaften zugleich; es manifestiert Ruhelosigkeit und Konzentration in einem. Weiterlesen

Wandern, eine wilde Leidenschaft

Ich lese GEHEN Oder die Kunst ein wildes und poetisches Leben zu führen von Tomas Espedal, ein aus dem norwegischen Bergen stammender Autor. Oh, ja. Darum geht es! Um ein wildes und poetisches Leben. Und um das Gehen. Dass so ein Leben nicht am Laptop zu finden ist, versteht sich von selbst. Man muss zur Haustür hinaus, sich nach links oder rechts wenden und losmarschieren. Die Straße ist ein Versprechen. Wenn ich zur Tür hinausgehe, muss ich an meinen Stock denken. Ohne Stock geht es nicht mehr weit, mit Stock auch nicht. Es bleiben mir nur die Bücher, die ein wildes Leben versprechen. Und die Erinnerungen. Ich war immer gerne zu Fuß gegangen, und ich denke mit Wehmut zurück an die wochenlangen Wanderungen, die A. und ich durch Ladakh und Tibet gemacht haben. Weiterlesen

Unter den Passatwinden

Nach dem Frühstück fuhren wir los, über die Hochebene westlich von Lannion. Richtung Morlaix. Eine Weile führte die Straße der Küste entlang, die grüne Wasseroberfläche war vom Regen grau schraffiert. Bei Sainte-Sève zweigten wir auf die D785 ab, ins Landesinnere, nach Huelgoat. Eine schmale Landstraße. Felder und Wiesen abgesoffen im Nebel und Regen. Düstere Granithäuser. Die Wälder bestanden aus Laub und Feuchtigkeit.
Wir waren unterwegs zum Grab von einem der frühen Vertreter intellektueller Vagabunden, in dessen Adern mehr als nur drei Tropfen heidnisches Blut floss. Passatwinde, Meeresengen und Gebirgspässe waren sein Lebensinhalt. Weiterlesen

Der Wind der Straße

Als ich für ein paar Monate nach Berlin fuhr, hatte ich zwei Bücher des schottischen Reisenden und Schriftstellers Kenneth White im Gepäck. Im Zug las ich Der blaue Weg. Eine Reise nach Labrador. „Vielleicht ist die Idee die, soweit wie möglich zu gehen bis ans Ende deiner Selbst – bis zu einem Territorium, wo die Zeit Raum wird, wo die Dinge in ihrer ganzen Nacktheit erscheinen und der Wind weht, anonym.“ Das waren neue, für mein Ohr ungewohnte Töne. Ich hatte plötzlich den Wunsch, weiterzureisen. Dieser ungeheuer weite Raum von Labrador, sein Atem, weckte in mir den Wunsch, weiter zu gehen, immer weiter. Ich fuhr dann doch nach Berlin. Weiterlesen

Die Küste entlang

„Wieder habe ich diese klare, lebhafte Empfindung von der Küste. Ein erster Ort. Die nackte Schönheit von allem.“
Kenneth White

Der schottische Schriftsteller und Reisende Kenneth White lebt seit vielen Jahren an der Côtes-du-Nord der Bretagne, also ungefähr in der Mitte zwischen den Hebriden und Portugal. Er ist ein kosmopoetischer Nomade, ein solitärer Wanderer, der eine Wind- und Wellen-Philosophie praktiziert. Was zählt, ist der Raum, der Weg, die Bewegung.
„Nennen sie mich Ismael, einen intellektuellen Nomaden.“ Weiterlesen

Unter dem Berg des Donnergottes

Wir fahren die kurvige Straße hinab. Der Beaume entlang. Das Flussbett ist voller Steine und Felsbrocken. Kastanienwälder die Berghänge hinauf. Auf kleinen Wiesen stehen einsame Häuser aus Granit. Nach so einem Haus suchen wir.
Hier muss es sein, sagt A. Sie stoppt den Wagen. Wir steigen aus und gehen den Weg zum Steg hinunter, der über den Fluss führt.
Dass wir das Tal wieder ein Stück hinab gefahren sind, durch das wir gestern hochgekommen waren, irritiert mich. Ich habe mir vorgestellt, Gourgounel liege nach Valgorge, rechts vom Fluss und der Tanargue im Süden. Tatsächlich ist es genau umgekehrt. Eine Gegend, die man von der Lektüre her kennt, besucht man nicht ohne Folgen. Sie berichtigt rücksichtslos die Bilder, die man sich von ihr beim Lesen gemacht hat. Geographische Kenntnisse helfen ein Buch besser zu verstehen, sie vertiefen die Lektüre, passt man nicht auf, werden die Bilder zerstört, die man sich beim Lesen gemacht hat. Weiterlesen