Weibliche Standfestigkeit

Das stärkste und tiefste, was in ihnen war, sei die Angst gewesen, erzählt Nadeschda Mandelstam in ihren Erinnerungen an Anna Achmatowa. Angst, Scham und Hilflosigkeit überschatteten alle anderen Gefühle. Sie waren stärker als Liebe oder Eifersucht.

Um die zwanzig Millionen Menschen fielen der sowjetischen Repressionsmaschinerie zum Opfer. Opfer der Idee, man müsse die Welt verändern, alle Menschen glücklich machen und paradiesische Zustände errichten. Das begann schon unter Lenin, als er 1918 den ‚Roten Terror‘ ausrief und die Tscheka, den sowjetischen Geheimdienst, schuf. Weiterlesen

Die Widerspenstige

Vier Uhr morgens. Es ist dunkel und still.
Ich liege auf der weinroten Recamière im Wohnzimmer und begleite Nina Sergejewna (eine Übersetzerin) auf ihren Spaziergängen durch den tief verschneiten Wald, den es in der Nähe des Sanatoriums für sowjetische Künstler gibt, wo sie ihren Urlaub verbringt. Das Sanatorium liegt etliche Bahnstunden von Moskau entfernt in einer abgelegenen, ländlichen Gegend. Februar 1949.
Sie hat ein Zimmer für sich allein, angenehm groß und geheizt. Sie muss nicht – wie in der Gemeinschaftswohnung in Moskau – dreimal am Tag den Schreibtisch in einen Esstisch verwandeln. Keine keifenden Weiber reißen sie aus der Konzentration. Im Gegensatz zum Leben in Moskau, wo ein chronischer Mangel am Notwendigen herrscht, fehlt es im Sanatorium an nichts. Sie kann sich ganz auf die eigenen Gedanken konzentrieren, das Buch schreiben, das man gerade liest. Weiterlesen