Der Mann mit den Sohlen aus Wind

1873 lässt ein neunzehnjähriger Gymnasiast seine Jugendgedichte unter dem merkwürdigen Titel Une Saison en Enfer drucken. Er verschickt ein paar Exemplare an ehemalige Schulkameraden und an Freunde in Paris. Der Rest der Auflage bleibt bei der Druckerei liegen. Er scheint augenblicklich das Interesse an der Sache verloren zu haben.

Warum hörte Arthur Rimbaud in einem Alter auf zu schreiben, in dem andere die ersten zaghaften Gedanken an eine Laufbahn als Schriftsteller wagen, um fortan ein Leben als Vagabund und Händler zu bestreiten? Weiterlesen

Die bisexuelle Weltkarte

„Aber ich wollte nicht nur weg.
Ich wollte auch wohin.
Ich wollte in die Welt.
Europa war mir kaum groß genug.
Der Äquator war meine Welt.
Ich war den Afrikanern verwandt, den Lappen, den Mizteken.
Lockstedt war nicht meine Welt.
Ich komme von weither.“

Diese Zeilen aus Hotel Garni (dem ersten Band von Die Geschichte der Empfindlichkeit) umreißen ein ganzes Leben, das Leben des Reisenden und Ethnopoeten Hubert Fichte. Er war „ein Entdeckungsfahrer ins Gebiet des Aberglaubens und der Geisterbeschwörung“ und bewegte sich auf der Grenzlinie zwischen magischer Realität und Tourismus. Er ging Mystifikationen und Riten nach, dabei hielt er sich nicht an die gängigen wissenschaftlichen Methoden, sondern entwickelte eigene Vorgehensweisen. Weiterlesen

Die Dakar-Djibouti-Expedition

Am 19. Mai 1931 brach der französische Ethnologe Marcel Griaule zu seiner zweiten Forschungsreise nach Afrika auf, die quer durch den schwarzen Kontinent führte und fast zwei Jahre dauerte. Zum fünfköpfigen Forscherteam gehörte auch sein Freund Michel Leiris, Surrealist und Selbstzweifler. Griaule hatte ihn als Sekretär und Archivar engagiert. Weiterlesen

Die wilden Jahre in der Sahara

Man muss es sich klar vor Augen führen: Um das Jahr 1900 reist eine junge, hübsche Frau in arabischer Männerkleidung durch die algerische Wüste. Sie reist in Gesellschaft von Soldaten, Händlern und Nomaden durch Gebiete, in denen die Frau nichts zählt. Diese rauen Männer akzeptieren sie als ihresgleichen. Sie ist ungebunden und unerschrocken und will die ganze Freiheit. Zugleich verkörpert sie etwas Zielloses, Verlorenes, Gefährdetes. Weiterlesen

Jet Set Nomade

Als Bruce Chatwin berühmt wurde, fragte man Elizabeth, seine Frau, nach seinen typischsten häuslichen Verhaltensmustern. Sie antwortete, die ständige Abwesenheit sei wohl das Typischste an ihm.
Er galt als der reisende Schriftsteller schlechthin. Er muss ein begnadeter Erzähler gewesen sein, der über ein enzyklopädisches Wissen verfügte, frei erfinden und improvisieren und bis zum Umfallen reden konnte.
Dieser ruhelose, gut aussehende, eitle, energiegeladene, wortgewandte und ewig jung gebliebene Bursche schien durch die Welt zu schwirren; ohne feste Bindung, ohne Wurzeln, fasziniert von allem Fremdartigen, ein Irrlicht, das sich bald da, bald dort zeigte. Weiterlesen

Ein bibliomanischer Vagabund

Ein fiebriger, unruhiger Geist – dieser Blaise Cendrars. Abenteurer, Weltreisender, Vagabund. Er war stets auf zwei Kontinenten unterwegs, auf allen Meeren und in allen Häfen der Welt. Du Monde entier heißt einer seiner Gedichtbände: Die ganze Welt! Er probierte vieles aus, zahlreiche Berufe, ohne dass sie ihn wirklich ausgefüllt hätten. Immer waren da ein Gefühl des Mangels und die Angst, woanders etwas Wichtigeres zu verpassen. Sein Reisefieber bezeichnete er als unheilbar.
Die ungewöhnliche, zerklüftete Physiognomie seines Gesichts ist wie eine Land- oder Reisekarte, eine Relief fremder und vertrauter Landschaften zugleich; es manifestiert Ruhelosigkeit und Konzentration in einem. Weiterlesen

Randzonen des Vulkans

Ich hielt mich für ein paar Tage in Lissabon auf, bevor ich in den Norden Portugals reiste.
Am Rande des Bairo Alto, hoch über der Avenida da Liberdade, hatte ich eine Jazz-Bar entdeckt, in der Live-Musik gespielt wurde. Ich lernte da einen Typen kennen, der Wolf Wondratschek aufs Haar glich. Er sagte, er heiße Helmut Krause. Er sei Journalist und arbeite für LUI. Genau wie Wondratschek auch. Vielleicht mussten die Journis, die für LUI arbeiteten, alle wie Wondratschek aussehen, dachte ich. Wir sind dann auf Wondratschek zu reden gekommen. Er kannte ihn gut, sie wohnten beide in München. Im Schwabing-Viertel. Er bewunderte ihn sehr. Ich kannte nur die Reportagen-Sammlung Menschen, Orte, Fäuste. Helmut fand die Story über Max Schelling übertrieben, Schelling sei nie der geniale Boxer gewesen, als den ihn Wondratschek dargestellt habe. Weiterlesen

Pariser Spaziergänge

Dieses Mal wohnten wir an der Rue de Vaugirard. Die Straße beginnt am Boulevard St. Michel, schneidet der Rue de Médicis den Weg ab, führt am Jardin du Luxembourg entlang und in einer langen Geraden hinauf zum Boulevard de Pasteur.
Für den Morgenkaffee gingen wir ins „Le Petit Suisse“, ein kleines Bistro an der Place Paul Claudel, wo, so schien es wenigstens, vor allem Leute aus dem Quartier ihren Kaffee tranken. Sie grüßten sich und schwatzten zusammen. Wir setzten uns draußen auf die Terrasse. Die Luft war kühl, der Himmel blau. Wir fühlten uns selber wie Pariser. Weiterlesen