Wenn ich als Knabe krank war, las ich nichts lieber als Bücher über die Indianer. Ich wäre gerne ein Indianerjunge gewesen, der auf den Rücken seines Ponys springt und in die Prärie hinaus galoppiert oder mit seinen Freunden in den Flüssen um die Wette schwimmt. Zwischen Fieberanfällen und Schlaf verfolgte ich die Lebensgeschichten der großen Häuptlinge, ihre Namen haben sich tief in meinem Inneren abgelagert: Tashunka Witko, Tatanka Yotanka, Mapya Luta, Gokhlayeh.
Als ich etwas älter war, schenkte mir die Mutter Ich rufe mein Volk von Schwarzer Hirsch. Leben, Visionen und Vermächtnis des letzten großen Sehers der Oglala-Lakota. Im Englischen heisst es schlicht Black Elk speaks. Jetzt lese ich das Buch wieder. Die Lektüre ruft Bilder in mir wach, grossartige und aufwühlende Bilder. Dichtung und Wahrheit sind in diesem Buch auf eine einzigartige Weise verwoben. Dieser Jäger, Krieger und Heiler war ein großartiger Poet. Das Tipi – Symbol einer verschwundenen Kultur, für mich eine der schönsten überhaupt. Ein naiver Romantizismus? Vielleicht. Weiterlesen
Amerikanische Literatur
Ein magischer Ort
An einem stürmischen Märzmorgen 1929 geht ein neunzehnjähriger Junge in Hoboken an Bord des Linienschiffes Rijndam, das seine letzte Transatlantikfahrt macht. Die Eltern wissen nichts davon. Zu einem Reisepass ist er durch den Meineid einer Bekannten der Familie gekommen.
Er hat fünfundzwanzig Dollar in der Tasche und drei Empfehlungsschreiben, die ihn bei hilfsbereiten Damen einführen sollen. In Paris vermittelt ihm eine der drei Damen Arbeit als Telefonist beim Paris Herald, eine ermüdende Sache, es wird perfektes Französisch erwartet, eine zweite bietet ihm Essen und Unterkunft an. Als er eine beträchtliche Summe Geld erhält, gibt er seinen Job beim Paris Herald auf und fährt zum Wandern ins Elsass und in den Schwarzwald. Mit einem amerikanischen Couturier reist er nach St. Moritz, Italien, Nizza und Deauville. Nach fünf Monaten kehrt er nach New York zurück. Weiterlesen
Die alten Pfade oder der letzte Beatnik
An der Kleinverlagsmesse in Zürich hatte ich mir ein paar Nummern von NARACHAN gekauft, eine Zeitschrift für Ethnopoesie, die Thomas Kaiser herausgab. „Narachan heißt Schlangenplatz, ein keltisches Wort“, stand im Editorial. Der Untertitel der Zeitschrift lautete: „Lieder, Notierungen, Texte.“
Darin gab es auch ein Interview, das Peter Barry Chowka 1977 mit Gary Snyder geführt hatte.
Die Intensität des Gesprächs hat mich sofort für Snyder eingenommen. Ich erhielt ein starkes Bild von diesem Dichter, Zen-Buddhisten, Wanderer, Ethnologen, Kenner indianischer Gesänge und Mythen, Umweltaktivisten, und schamanischen Intellektuellen. Weiterlesen
Das Glück des Lesens
Es war Sommer. Ich arbeitete bei einer Versicherung, unten am See.
Meine Aufgabe war es, alte Policen auf ihre Vollständigkeit zu prüfen und nach Nummern zu sortieren, um sie später auf Mikrofilme zu kopieren. Man wollte Platz in den Ablagen schaffen. Ich hatte den Job durch ein Stellenvermittlungsbüro gekriegt. Ich brauchte Geld. Im Herbst wollte ich nach Portugal. Ich war nicht scharf auf eine feste Anstellung und schwach auf der Schreibmaschine. Weiterlesen
Der Blues von gestern Abend
Gestern Abend bin ich auf den Blues gekommen. Buchstäblich. Vielleicht lag es an der Sendung über den afroamerikanischen Schriftsteller und Bürgerrechtsaktivisten James Baldwin, die ich am Radio gehört habe. Baldwin hielt sich anfangs der Fünfzigerjahre drei Mal in Leukerbad auf, um da seinen Roman Go tell it on the Montain zu Ende zu schreiben. Er kam im Februar an, alles war verschneit, seine schwarze Haut stach besonders hervor. Weiterlesen
Dichterin und Rockrebellin
Das alte Städtchen Saint-Florent liegt an einer hellen Bucht im Nordwesten von Korsika.
Dort fand ich im Presseladen die französische Ausgabe der Zeitschrift Rolling Stone. Und darin ein Interview mit Patti Smith. Ich stelle sie locker neben Marcel Proust. Ein schickes Paar, nicht? Die Rockrebellin mit dem harten New-Jersey-Slang und der überfeinerte und hochgebildete Pariser Literat. Das Sonnenlicht flutete auf den Platz herab. Ich ging hinüber ins Café mit den wuchtigen Platanen, setzte mich an einen Tisch und bestellte einen schwarzen Kaffee.
„Jeux de Miroir“ heißt der Titel des Interviews, „das Spiegelspiel“, das Paola Genone mit Patti Smith geführt hat. M Train, ein weiterer Band Erinnerungen, kurz zuvor erschienen, war der Anlass dafür. Es ist ein weiträumiges Gespräch, voll eigensinniger Gedanken, das mich in eine aufrührerisch-träumerische Stimmung versetzte. Weiterlesen