Ob ich schon mal was von Bukowski gelesen hätte, fragte mich Jimmy, ein Freund, auf einer Party.
Ja, sagte ich.
Jimmy erzählte mir, Bukowski sei ein ganzer harter Typ, der im Knast gesessen und Gedichte geschrieben habe, bevor er aus dem achten Stockwerk gesprungen sei. Ich war erstaunt, denn ich meinte, Bukowski zu kennen, doch davon hatte ich noch nie etwas gehört.
Wir mussten beide lachen, als wir merkten, dass wir von zwei ganz verschiedenen Bukowskis redeten. Er von einem Amerikaner mit diesem Namen, ich von Wladimir Bukowski, einem Russen, der Opposition. Eine neue Geisteskrankheit in der Sowjetunion geschrieben hatte, ein Bericht über sowjetische Intellektuelle, die aus politischen Gründen in Irrenanstalten eingesperrt und dort als Verrückte behandelt wurden.
Jimmy gehörte zu einer kleinen Gruppe Anarchisten, die in einem alten Haus an der Lädelistraße in Luzern wohnten. Sie liefen nackt in der Wohnung herum, warfen ihr Geschirr zum Fenster hinaus, wenn unten ein Zug vorbei fuhr, kifften und besprayten Hauswände. Gefängnisstrafe war für sie ein Gütesiegel, dass man außerhalb der Gesellschaft stand. Gedichte von Knastbrüdern erhielten daher einen Spezialbonus. Jimmys literarische Interessen waren entsprechend eingefärbt. Er las Peter Paul Zahl, der damals zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden war, weil er auf der Flucht einen Polizisten angeschossen hatte. Er las auch Die Reise von Bertram Vesper, dem einstigen Weggefährten von Gudrun Ensslin, und vieles aus dem Rotbuch- und dem März-Verlag.
Jimmy hatte eine etwas pummelige, schwerfällige Figur, langes Kraushaar, Nickelbrille, schütterer Ziegenbart. Seine Stimme war tief und matt, als käme sie von ganz unten aus der Kehle. Zugleich strahlte er etwas Gemütliches und Behäbiges aus, man nahm ihm seinen radikalen Anarchismus nicht ganz ab. Obwohl er meinen literarischen Geschmack als total bürgerlich empfand, haben wir uns gut verstanden.
Ich beschaffte mir Die Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang. An den Ton deutscher Lyrik gewöhnt, an Baudelaire und die kühle Prosa von Alfred Andersch oder Peter Weiss, sagten mir Bukowskis Gedichte nichts. Diese Rapporte eines kaputten und versoffenen Lebens mit ihrem ruppigen und schnöden Ton fand ich irgendwie flach, nichtssagend. Ich probierte es mit den Short Storys. Das gleiche Ergebnis.
Hingegen gefiel mir der Bericht von Carl Weissners, dem Übersetzer, über seinen Besuch bei Bukowski in Los Angeles. Meine Bude, die ich damals an der Bernstraße hatte, konnte es allemal mit dem schmutzigen und heruntergekommenen Bungalow von Bukowski an der DeLongpre-Avenue aufnehmen: ramponierte Möbel, Brandlöcher im gelben Teppich, braune Flecken und Schimmel an der Decke, zerschlissene Vorhänge und eine Tapete, die sich von den Wänden löste. Meine eleganten Kleidungsstücke, die im Schrank hingen, sahen wie Theaterrequisiten aus, die ein Schauspieler da vergessen hatte.
Es wohnten Säufer, Huren, Hippies und Hilfsarbeiter in dem Haus, ein Jesus-Freak mit schütterem Bart, Wollsocken und Sandalen, der nach Mottenkugeln roch. Für das ganze fünfstöckige Haus gab es nur zwei Duschen unten im Keller, die mit grünem Kunstrasen ausgelegt waren. Aber mit der Hygiene nahm es keiner so genau. Wie oft habe ich ins Lavabo gekotzt, weil ich zu besoffen war und die paar Schritte hinaus aufs Etagen-WC nicht mehr schaffte.
Bukowski pfiff auf ein rechtschaffenes bürgerliches Leben mit Job, beruflicher Karriere, Familie und die Abende in Pantoffeln vor dem Fernseher. Das gefiel mir. Dann seine endlose Latte von Gelegenheitsjobs: Leichenwäscher, Tankstellenwart, Möbelpacker, Nachtportier, Schlachtergehilfe, Sportreporter, Müllkutscher, Hafenarbeiter, Birnenpflücker und elf Jahre lang Briefsortierer bei der Post. Mir gefiel auch die Tatsache, dass er in jungen Jahren durch die USA gestromert war. Damals war dies in meinen Augen die einzige wirkliche Universität für einen Dichter.
Neben dem direkten und schnodderigen Ton, ist es die Freiheit bar aller Verpflichtungen und lästigen Ansprüchen zu sein, die die Faszination seiner Bücher ausmachen, seine Gleichgültigkeit gegenüber moralischen Werten, die in der Gesellschaft zirkulieren.
Wenn man jeden Morgen um die gleiche Zeit aufsteht, sich duscht, rasiert, die Zähne putzt und pünktlich zur Arbeit erscheint, hat man manchmal den Wunsch, die ganze Chose fahren zu lassen und auf all den bürgerlichen Konformismus zu pfeifen. Genau diesen Wunsch turnt Bukowski mit seinen ausgelatschten Schuhen, der schmutzigen Wäsche, dem billigen Wein und seinen fickerigen Gedanken in uns an.
Was uns recht ist, war für ihn der reinste Alptraum.
„Ich bin kein besonders netter Mensch, wie jeder sagen kann. Ich kenne das Wort nicht. Ich habe immer den Bösewicht bewundert, den Outlaw, den ruppigen Hund. Ich mag nicht den gut rasierten Boy mit Krawatte und dem guten Job. Ich mag verzweifelte Männer mit kaputten Zähnen und kaputten Gedanken und einer kaputten Art. Sie interessieren mich. Sie sind voller Überraschungen und Explosionen. Ich mag auch verkommene Weiber, betrunken fluchende Schlampen mit ausgeleierten Strümpfen und verschmiertem Make-Up im Gesicht. Ich interessiere mich mehr für Perverse als für Heilige. Ich kann relaxen in einer Gesellschaft von Pennern, denn ich bin selber einer. Ich habe nichts übrig für Gesetze, Moral, Religion, Vorschriften.“
Plötzlich kannten alle in meinem Bekanntenkreis Bukowski. Sie fuhren auf ihn ab. Er war ein Hype! Ein Fieber! Ein Virus, an dem sie sich angesteckt hatten. Es lasen ihn auch Leute, die mit Literatur sonst nichts am Hut hatten, die meisten führten ein anständiges und bürgerliches Leben. Ich kannte Bank- und Büroangestellte, angehende Manager, Buchhändler, Bauarbeiter, Lehrlinge, die alle einer geregelten Arbeit nachgingen und sich an Bukowski süchtig lasen, genauso wie Studenten, Kunstschüler und linke Alternative. Ich fragte mich, was sie in diesen wilden Büchern gefunden haben mochten, welche Fenster Bukowski bei ihnen aufgestoßen hatte. Wenn ich sie danach fragte, hieß es, lies ihn und du wirst es verstehen.
Eines Tages las ich Notes of a dirty old man (Aufzeichnungen eines Außenseiters). Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam. Warum es plötzlich Klick gemacht hatte. Es war nach meiner Lehre als Buchhändler. Ich wohnte schon lange nicht mehr an der Bernstraße, der Kontakt zu Jimmy war verloren gegangen, die Mode Bukowski am Abklingen.
In diesen Kolumnen findet mal alles, was ihn ausmacht: die Verlorenheit im amerikanischen Asphalt- und Neon-Dschungel, schäbige Buden, miese Jobs, Schlägereien, Six-Packs, Whisky, Pferderennbahn, Frauen in Pumps, schwarzen Netzstrümpfen und rosaroten Schlüpfern. Das Abgewrackte und Ausrangierte ist nicht Programm oder Ideologie, sondern spiegelt die Wirklichkeit seines Lebens wieder.
Auf seiner literarischen Landkarte sind die schäbigen, zerfallenden Quartiere und die stickigen Freeways von Los Angeles verzeichnet, wo der Wind den Staub zwischen Supermärkten und Tankstellen herumwirbelt und die Palmen einen traurigen Eindruck machen. Es ist der Untergrund einer riesigen Stadt, die geschaffen worden war, um die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und die dies schon lange nicht mehr tat.
In diesen Kolumnen gibt es zugleich eine Dimension, die weit über das Kaputte eines trostlosen Säuferlebens hinausgeht; es werden darin Empfindungen ausgedrückt, die jeder kennt und tief berühren. Hinter dem Schmutzigen und Fiesen blitzt das Komische auf, hinter der Harter-Typ-Masche eine verletzliche Empfindsamkeit, zwischen rauen und groben Worten klingt manchmal ein zarter liedhafter Satz. Bukowski brachte Absätze zustande, die direkt aus dem Innersten kamen und die ein wildes irisierendes Licht auf die Welt werfen und eine unheimliche Qualität besitzen. Sein Sinn für Humor und Selbstironie ist ansteckend, beeindruckend seine geistige Schlagfertigkeit und seine Sensibilität. Und vor allem ist darin eine Freiheit spürbar, die weite Räume öffnet.
Die Kolumnen sind in den späten 1960er Jahren entstanden. Bukowski hat sie für die Underground-Zeitschrift OPEN CITY geschrieben. Sie sind geprägt von jener Zeit der Aufbruchsstimmung, der libertären Bewegungen, der Rassenunruhen und Antikriegsdemonstrationen, dem Aufbegehren der Beatniks und Hippies gegen Obrigkeit und Autorität, der freien Sexualität und dem Triumph des Einzelnen. Obwohl er vom Alter her der Vater der aufbegehrenden Jugendlichen hätte sein können, gehört er aufgrund seiner Lebenshaltung zu ihnen wie kaum ein anderer. Aber in seinen Augen waren sie ein bisschen wie harmlose Kinder, die Joints rauchten, von Glückseligkeit träumten und sich mit Yoga und Buddhismus beschäftigten. Statt Rockmusik hörte er Ludwig van Beethoven und Gustav Mahler. Er schockte sie, in dem er den harten Macker markierte, den rüden Rüpel, der vor keinem Fight zurückschreckte, der nur an Sex und ans Saufen dachte und in löcherigen Socken herumlief.
Bukowski ist das pure Gegenteil eines New Yorker Schriftstellers, ohne Sinn für intellektuelle Reflexionen und literarische Prätentionen. Was er schreibt ist eine Art Bekenntnisliteratur, aber es sind nicht die Bekenntnisse eines gebildeten und kultivierten Kosmopoliten, sondern die des Säufers aus den Bars hinter dem Rangierbahnhof. Hinter die Kultur setzte er ein dickes Fragezeichen, das war für ihn nichts als abgestandenes Bier, eine Falle, die es zu vermeiden gilt. Er weigerte sich, jeglicher Ästhetik oder kulturellem Dünkel aufzusitzen, das Elementare stellte er über jede feingeistige Akribie. Seine Aufmerksamkeit galt dem Alltäglichen und Banalen, dem versteckten Horror darin.
Als er Ende der 1950er Jahre angefangen hatte, Gedichte zu schreiben, benützte er im Gegensatz zu den Lyrikern, die in den offiziellen Poesie-Zeitschriften veröffentlicht wurden, die amerikanische Alltags- und Großstadt-Sprache. Er läutete damit eine neue Ära in der Dichtung ein. Darin werden die Dinge direkt und schnörkellos ausgedrückt und die Menschen sind so zu hören, wie sie sprechen, was seinen Gedichten eine Lebendigkeit gibt, die in der traditionellen Dichtung oft fehlt. Er schreibt: „In all den Jahren, die ich in den Schlachthöfen und Tankstellen, an Fließbändern und in U-Bahn-Tunnels geschuftet habe, ist mein Vokabular auf einen letzten Rest zusammengeschrumpft, aber mit diesem Rest versuche ich rauszuhämmern, was drin ist. Sonst bin ich bloß ein weiterer Selbstmord in einem verwanzten Loch oder in einem ausgebrannten Plymouth unten in Laurel Canyon.“
Bei ihm gehören Leben und Literatur zusammen, das eine nährt das andere. Er schrieb aus dem Bauch heraus, denn er wollte die Dinge intuitiv und spontan erfassen und nicht das nachmachen, was andere vor ihm schon imitiert haben. Er klinkte sich gar nicht erst ein in das Recycling-System, das für die moderne Literatur so typisch ist, wo das verwertet und wieder verwertet wird, was andere zuvor produziert hatten, inklusiv feinsinniges Verstecken von Anspielungen und Zitaten.
Natürlich ist er wie alle Trinker und ruppigen Typen ein Aufschneider und Schnorrer, einer, der immer wieder die gleichen Storys auftischt. Wie oft hat er die Geschichte von seiner Ehe mit der Millionärstochter aus Texas erzählt, den Geranien und dem debilen Hund, der einmal Picasso heißt, dann wieder Breughel. Oder jene, als er in Philadelphia in eine Gangster-Bar marschierte, in die sich sonst keiner wagte. Und man denkt, komm Bukowski, lass uns mit dem Quatsch in Frieden, das hast du uns schon oft genug erzählt.
Er feilte nicht an seinen Sachen herum, sondern versuchte, seine Gedanken und Gefühle direkt und spontan auszudrücken. „Sein Output war enorm“, schreibt Carl Weissner, „manches geht daneben, vieles trifft ins Schwarze, und das eine ist ihm genauso wichtig wie das andere.“
Dass Bukowski beides nebeneinander gelten ließ, das Gute und das Missglückte, gehört zu seinem Selbstverständnis von Literatur, es war eine Rebellion gegen das Wohlfeile und die leeren Worthülsen der Arrivierten. Zugleich zeigen seine Briefe, die lange nach seinem Tod erschienen sind, dass er sich intensiv mit poetologischen Fragen beschäftigt hat.
Neeli Cherkowski nennt es in seiner Biographie „eine dissidente Qualität“. „Bukowski propagierte einen Menschen, der frei von Ideologie ist, seine Bedürfnisse und Wünsche gut kennt, der genau weiß, in welchem Verhältnis er zum Leben steht“.