Wir kamen an einem späten Nachmittag im April in Triest an.
Im Taxi sahen wir auf der einen Seite das Meer und auf der anderen die hohen Prachtbauten und Paläste des Borgo Teresiano. Triest stand bis zum Ende des Ersten Weltkrieges unter österreichischer Herrschaft, die wichtigste Hafenstadt der Donaumonarchie; sie hatte damals ihre Glanzzeit und war zu Reichtum gekommen. Es gab sogar eine direkte Bahnlinie zwischen Wien und Triest.
Wir wohnten im Hotel „Continentale“ an der Via San Nicolò. Schräg gegenüber war das Buchantiquariat „Umberto Saba“. Ein dunkles Lokal mit hohen, nackten Bücherwänden. Während ich mich darin umsah, fragte ich mich, wie viele der Bücher schon in den Regalen gestanden haben mochten, als Umberto Saba die Buchhandlung 1919 gekauft hatte. Er war eines Morgens an der Via San Nicolò vorbei gekommen und hatte zum ersten Mal diese „düstere Höhle“ bemerkt. Er fand es eine traurige Vorstellung, sein Leben darin verbringen zu müssen. Ein paar Tage später bot ihm der Besitzer das dunkle Buchreich zum Kauf an, und Saba erwarb es. Er hatte die Absicht, die Bücher in die Adria zu schmeißen und das leergeräumte Lokal zu einem höheren Preis zu verkaufen. Doch nach ein paar Tagen verließ ihn der Mut, seine Absicht in Tat umzusetzen. Die alten Bücher, mit denen er inhaltlich nicht viel anfangen konnte, bezauberten ihn. So verbrachte er die meiste Zeit seines weiteren Lebens hier drin, denn von den eigenen Gedichten zu leben, war unmöglich. Im Gedicht Avevo schreibt er: „Man musste von etwas leben. Unter Übeln habe ich das schicklichste gewählt: ein kleines erlesenes Geschäft für alte Bücher.“ Das Buchantiquariat wurde sein Zufluchtsort vor den Miseren der Zeit.

Als 1938 die Rassengesetze eingeführt wurden, überschrieb Saba das Geschäft auf Carlo Cerne, seinen jungen Angestellten, denn als Halbjude musste er befürchten, dass Mussolinis Schergen es beschlagnahmten und zerstörten. Jetzt wird das Antiquariat von dessen Sohn Mario Cerne geführt. Er ist der Hüter der Bücher und Sabas Erbe.
1943 besetzten die deutschen Truppen Triest. Um der Deportation durch die Nazis zu entgehen, floh Saba zuerst nach Paris, dann nach Florenz, wo ihn der Dichter Eugenio Montale versteckte. Nach dem Krieg lebte er in Rom, 1947 kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Am 25. August 1957 starb er in der Klinik von Görz, in der im Jahr zuvor schon seine Frau gestorben war.
Vor zwei Jahren ist Mario Cerne auf die wunderbare Idee gekommen, eine kleine Broschüre mit Fotos von Umberto Saba und der Buchhandlung zu veröffentlichen. Die Broschüre enthält auch das Gedicht Trieste, es ist in sechzehn verschiedenen Sprachen abgedruckt, darunter auch Russisch, Chinesisch und Japanisch. Er zeigt die Broschüre allen Besuchern und die meisten kaufen sie wohl auch.
Auf der Kreuzung Via Dante und Via San Nicolò steht eine Bronzestatue von Umberto Saba. Mit großen Schritten nähert er sich in Mantel und mit Schirmmütze auf dem Kopf der Buchhandlung. Pfeife und Stock sind gestohlen worden. Ein paar Mal hatte die Stadt sie ersetzt, aber irgendwann ließ sie es sein. Auf fast allen Fotos, die es von Saba gibt, ist er mit einer Pfeife im Mund abgebildet. Man fragt sich, ob er sie zum Schlafen überhaupt aus dem Mund genommen hatte. Im Gedicht Himmel sagt er, es genüge ihm, Himmel, Schwalben und Wolken zu betrachten und wie ein alter Seebär schweigend seine Pfeife zu rauchen.

Triest ist eine angenehme Stadt für Fußgänger. Eine Stadt zwischen Meer, Himmel und Karsthügeln. Sie ist im ganzen Werk von Umberto Saba gegenwärtig, einer der durchschimmernden Fäden im Gewebe seiner Dichtung. Wie Saba im Gedicht Trieste, haben wir sie in alle Richtungen durchstreift, um ihren „spröden Charme“ bis in die entlegensten Winkel zu erkunden. Saba vergleicht die Stadt mit einem hungrigen Lausbuben mit blauen Augen, der viel zu plumpe Hände hat, um Blumen zu verschenken. In einem anderen Gedicht ist sie ein Gassenmädchen, das ohne Form und Stil groß geworden war. Im bereits erwähnten Gedicht Avevo heißt es: „Ich hatte eine schöne Stadt zwischen den Bergen, so felsig, und dem lichterfüllten Meer.“

Wir schlenderten der Riva entlang, auf die Molen hinaus und beobachteten die riesigen Medusen, die wie gelbe, leuchtende Lampenschirme mit violetten Bordüren aussahen und sich mit kurzatmigen Stößen im Wasser vorwärts bewegten.
Es gibt zahlreiche Kaffeehäuser in Triest, eine Tradition, die aus Wien stammt. Während unserem Aufenthalt haben wir viele davon besucht. Wir mochten vor allem das „Tommaseo“ unten am Meer und das „San Marco“ an der Via Cesare Battista. Die Literatur von Triest ist ohne die Kaffeehäuser nicht denkbar. James Joyce, der mehr als zehn Jahre hier gelebt hatte, war ein manischer Kaffeehausbesucher, ebenso sein Englisch-Schüler Italo Svevo. Auch Umberto Saba verbrachte einen schönen Teil des Tages im Café. Das „Tommaseo“, eines der ältesten Cafés von Triest, hieß früher „Caffé dei Negoziante“. Es war ein beliebter Treffpunkt für Intellektuelle und Künstler, die Oper ist bloß ein paar Schritte davon entfernt. Es war Sabas Lieblingsplatz.

Bevor wir eines Tages ins Café „San Marco“ gingen, spazierten wir die Via Francesco Crispi hinauf, wo Saba und seine Frau Lina fast vierzig Jahre lang gewohnt hatten. Ich schaute die weiße Fassade empor, dann richtete ich meinen Blick auf die Tür, als ob ich erwartet hätte, dass sie sich im nächsten Augenblick öffnen und Saba in Mantel und mit Schirmmütze, Pfeife und Stock heraustreten würde. Wir gingen weiter in die Via Domenico Rossetti; „die Straße der Freude und Liebe“. In der Nummer 24 hatte Caroline (Lina) Wölfler gewohnt. Ihr Cousin hatte sie mit Saba bekannt gemacht. Doch erst nachdem Saba seinen Militärdienst beendet hatte, trafen sie sich wieder. Er schlenderte eines Tages durch die Via Rossetti, denn er hatte gehört, dass die Familie hierher gezogen war, aber er kannte die Hausnummer nicht. In diesem Augenblick öffnete Lina das Fenster, um die Blumen auf dem Sims zu gießen. 1909 heirateten sie und zogen nach Montebello, einem Dorf auf den Hügeln außerhalb von Triest. Eine leidenschaftliche und krisenanfällige Beziehung verband sie. Ein Jahr später kam ihre einzige Tochter Linuccia zur Welt. Saba besaß eine gehörige Portion Witz und Schalk, womit er sich aus den Depressionen, die ihn zeitweilig anfielen, heraus zu ziehen vermochte. Im ersten Gedicht über Lina vergleicht er sie mit einer weißen Henne, einer trächtigen Färse und einer langen Hündin. Lina ist neben Triest das zweite große Thema in seiner Dichtung, Gedichte, die oft seine schmerzliche Liebe zum Leben ausdrücken.
Saba kam am 9. März 1883 an der Via Riborgo 25 zur Welt. Die Via Riborgo verlief durch das ganze damalige jüdische Ghetto, ein Wirrwarr aus übel riechenden Straßen und baufälligen Häusern ohne fließendes Wasser; es wurde 1934 von den Faschisten abgerissen. Das Geburtshaus hat ungefähr da gestanden, wo heute die Via del Teatro Romano vom Corso Italia abgeht. Rund um die Piazza Vecchia gibt es noch ein paar alte dunkle Gassen, die an jene längst verschwundene Zeit erinnern. Sie sind manchmal so eng, dass man die Arme darin nicht ausstrecken kann.
Neben den Juden gab es Italiener, Deutsche, Griechen, Armenier, Türken und Slowenen in Triest. Saba hatte einen italienischen Vater und eine jüdische Mutter. Felicita Rachele Coen und Ugo Eduardo Poli. Der Vater verließ die Mutter noch vor der Geburt des Kindes.
„Werde nicht dem Vater gleich“, mahnte die enttäuschte und verbitterte Mutter ihren Sohn ständig. Erst als Zwanzigjähriger lernte Umberto seinen Vater kennen und musste feststellen, dass seine Gaben vom ihm stammten. Er hieß eigentlich Umberto Poli. Saba ist ein Pseudonym, das hebräische Wort für Brot. Seine Dichtung hat tatsächlich etwas Nährendes; ich entdecke darin oft meine eigenen Gedanken und Gefühle wieder, denen ich bisher wenig Beachtung geschenkt habe. Der Name erinnert aber auch an jenen seiner Amme, die Peppa Gabrovich Sabaz hieß, eine katholische Slowenin.
Wir stiegen die Via del Monte hinauf, „die Straße der heiligen Einkehr“, vorbei am alten israelitischen Tempel, wo Saba und Lina geheiratet haben, und weiter oben, dort, wo die Straße steiler wird, steht das Haus, in dem seine Amme gewohnt hatte. Umberto wuchs die ersten paar Jahre bei ihr auf, zu seinem Leid nahm die Mutter ihn plötzlich wieder zu sich. Nach den paradiesischen Verhältnissen bei der Amme war das Leben bei der Mutter und der Tante für ihn eine freudlose, dumpfe Zeit.
Als Junge besaß Saba eine Amsel und ein Huhn. Das Huhn lief frei in der Wohnung herum. Wenn es ein Ei legte, gab die Mutter das noch warme Ei dem Jungen zu essen. Eines Tages starb das Huhn. Der Junge war traurig, es war sein bester Freund gewesen. Mit dem ersten Geld, das er als kaufmännischer Lehrling verdiente, kaufte er sich auf dem Markt am Ponterosso ein neues und schickte es per Bote nach Hause. Am Abend rühmte die Mutter Umberto, weil er ihr ein so prächtiges Huhn gekauft hatte; sie hatte es geschlachtet und trug es zum Abendessen auf.

Saba verließ das Gymnasium ohne Abschluss; die Handelsschule und eine Lehre als kaufmännischer Angestellter brach er ab, auch das Studium an der Universität von Pisa, wo er sich 1903 einschrieb, gab er vorzeitig auf. Er las lieber für sich selber. Seine Leitsterne waren Francesco Petrarca, Giacomo Leopardi und Heinrich Heine. Er hatte eine Schwäche für die deutsche Literatur, vor allem für Goethe und Nietzsche. Später versuchte er beruflich in Bologna und Mailand Fuß zu fassen, ohne viel Erfolg, es zog ihn wieder nach Triest zurück. „Immer war ich ein armer streunender Hund“.
Er begann bereits als Jugendlicher Gedichte zu schreiben. 1911 erschien sein erster Gedichtband. Sein Motto war: „Schweifen, Entrinnen, Poesie.“ In den nächsten Jahren folgten weitere Bände. Die meisten veröffentlichte er auf eigene Kosten. Sie blieben ohne Resonanz. 1921 fasste er die bisher veröffentlichten Gedichtbändchen zu einer Sammlung zusammen, der er den Titel Canzoniere gab, den Titel also, den Petrarca für seine eigene Sammlung verwendet hatte. Saba wird seinen Canzoniere – wie der amerikanische Dichter Walt Whitman seine Grashalme – immer wieder erweitern und verändern. Am Ende wird es ein über sechshundert Seiten starkes Werk sein, das aus Gedichten besteht, die nicht vorsätzlich nach Originalität und Ruhm verlangen, sondern aus einem unwillkürlichen Ausdrucks- und Gestaltungsbedürfnis entstanden sind, um seine seelischen Schmerzen zu lindern. Saba nennt den Canzoniere seinen „psychologischen Roman“. Nur Verse konnten ihn von seinem Leiden befreien, denn „das menschliche Leben ist schmerzvoll und dunkel und nichts hat darin seinen sicheren Ort.“
Das Schreiben war Saba so notwendig, dass er seine Dichtung als ein „Naturereignis“ betrachtet hat. Mit ihr habe er die Stadt Triest definitiv mit dem Italienischen vermählt. Er war ein Außenseiter in der italienischen Dichtung, ein Verkannter, wie Italo Svevo es im erzählerischen Schaffen war. Sie haben Triest zu einer Stadt der Weltliteratur gemacht. Saba war sich der Qualität seines Schaffens stets bewusst, er litt unter dem Unverständnis und der Ignoranz des italienischen Literaturbetriebes. „Auf zwei Kübel Ablehnung und wegwerfende Kritik, ein Tropfen Anerkennung“, resümierte er seine Erfolglosigkeit. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der absolute Rang seiner Lyrik in Italien erkannt. Seither gehört er neben Guiseppe Ungaretti und Eugenio Montale zu den ganz Großen der italienischen Poesie des 20. Jahrhunderts.
Sabas Gedichte haben sich im Laufe seines Lebens geändert, sie sind straffer und härter geworden, aber typisch für alle ist ein direkter und nüchterner Tonfall. In der Erzählung Ernesto, in der Saba von seinen homosexuellen Erlebnissen als Jugendlicher berichtet, ist ein Abschnitt zu lesen, der sich wie eine Charakterisierung seiner Dichtung liest: „Ins Herz der Dinge, in den glühenden Mittelpunkt des Lebens vordringen und dabei Hemmungen und Widerstände überwinden, ohne Umschreibungen und unnötige Umschweife, ob es sich nun um Dinge handelte, die als niedrig und vulgär (vielleicht sogar als verboten gelten), oder solche, die als „hehr“ eingestuft werden, indem er sie alle – wie es auch die Natur macht – auf die gleiche Stufe stellte.“
Im Beobachten und Hören erkannte Saba seine eigentliche Kraft. Er fand das Universale im Beiläufigen und Alltäglichen. Es ist viel Privates und Intimes in seinem Werk, aber es ist künstlerisch so gestaltet, dass es zu etwas allgemein Menschlichem wird. Den kleinen verstreuten Dingen gab er in den Gedichten eine ganz eigene Leuchtkraft; sie fordern den Leser auf, ihnen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Im Gedicht Ich liebte bekennt Saba: „Ich liebte abgegriffene Wörter, die niemand mehr wagte. Mich verzauberte der Reim von Blume und Liebe, der älteste und schwierigste der Welt.“
Trotz den periodisch auftretenden Lebenskrisen und Depressionen („Warum, Mutter, hast du mich auf die Welt gebracht?“) war Saba von einer inständigen Liebe zum Dasein erfüllt, einer Bejahung des Lebens in seiner ganzen verwirrenden, widersprüchlichen und schrecklichen Komplexität. Die von Melancholie grundierten Gedichte sprühen zugleich Lebenslust und Lebensgier aus. Das Dunkle und Schwere, das sich im Schatten seines eigenen Inneren sammelte, wird abgelöst von den leichten Dingen, die entstehen und vergehen.
Neben dem Lyriker gab es auch den Prosaisten Saba, der es verstand, mit klaren, kräftigen Strichen seinen Geschichten eine plastische Gestalt zu geben. „Sabas Abkürzungen und Erzählungen stellen in ihrer fulminanten Analyse der Weltgeschichte ein Beispiel italienischer Minima Moralia dar“, kommentiert der aus Triest stammende Publizist Claudio Magris diese Prosa.
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