Im fernen Westen

Michel holte mich am Flughafen von Helena ab.
Ich hatte ihn im Restaurant au 35 an der Rue Jacob in Paris kennengelernt.
– Wenn du mal nach Montana kommen möchtest, lade ich dich gerne ein, sagte er.
Er unterrichtete Physik am College in Helena, wohnte aber ausserhalb, in der Nähe vom Canyon Ferry Lake in einem Trailer. Im Trailer nebenan wohnten Tante Lisa und Bob. Lisa war eine fahrende Buchhändlerin. Sie handelte mit Büchern über die Geschichte des Wilden Westens, ein beliebtes Studienobjekt für pensionierte College-Lehrer. Sie fuhr zu Symposien und Tagungen und baute da ihre Büchertische auf.
Als ich ihr erzählte, dass ich wegen James Willard Schultz nach Montana gekommen sei, verschwand sie im hinteren Teil des Trailers.
Nach einer Weile kam sie wieder hervor und legte mir My Life as an Indian in die Hände.
–  Es gehört dir, sagte sie.
Die Erstausgabe von 1907! Eine Rarität! Ich wusste nicht, wie ich ihr danken sollte.
–  Wenn jemand wegen Schultz eine so weite Reise macht, hat er das verdient.
Die Lektüre von My Life as an Indian, das auf Deutsch den blöden Titel Sucht mich in der Prärie hat, war wie ein Echo aus einer fernen und verschwundenen Zeit, aber auch wie ein Echo aus der eigenen Jugend. Es ist genau das Buch – ein Tatsachenbericht, geschrieben wie ein Abenteuerroman – das ich als Vierzehn- oder Fünfzehnjähriger immer zu lesen wünschte, aber auf das mich niemand aufmerksam gemacht hatte. Und Schultz hatte genau das getan, was man als Jugendlicher auch gerne getan hätte, vorausgesetzt, es hätte die freien, auf der Prärie umherstreifenden Indianer noch gegeben.
So fängt es an: „Die Liebe zum freien Leben und zum Abenteuer ist mir wohl angeboren. Ich muss sie von einem entfernten Vorfahren geerbt haben, denn meine nächsten Verwandten waren solide und fromme Leute. Ich hasste die Gesellschaft und ihre Konventionen. Seit meiner frühesten Erinnerung war ich in meiner Heimatstadt in New England nur in den Schulferien glücklich, wenn ich durch die grossen Wälder im Norden streifen konnte, fern vom Klang der Schul- und Kirchenglocken und den pfeifenden Lokomotiven. Aber der Tag kam, an dem ich da hingehen konnte, wo ich hin wollte und an einem warmen Aprilmorgen verliess ich St. Louis am Missouri – nach einer langen Reise – auf einem Dampfboot Richtung Ferner Westen. Meine erste Destination war Fort Benton im Missouri-Territorium, 2600 Meilen flussaufwärts.“

Am anderen Morgen fuhren Michel und ich los, um etwas vom einstigen Indianerland zu sehen. Der Highway mit seinem gelben Mittelstreifen führte schnurgerade über die riesige Ebene mit ihren Kliffs und platten Hügeln. Sie war von gelbem Büffelgras und staubigen Salbeibüschen überwachsen. Zäune links und rechts der Strasse und in der Ferne die dunklen Umrisse der Belt Mountains. Riesige Getreidesilos ragten in die Höhe. Die Straßenschilder waren von Schusslöchern durchsiebt. Ein toter Rehbock lag am Straßenrand, von Fliegen umschwärmt. Dünne Wolkenschlieren überzogen das unermessliche Blau des Himmels. Wir tankten in White Sulphur Springs und fuhren in die Belt Mountains. Es ging durch ein flaches Tal mit weidenden Rindern und Blockhäusern, die am Zerfallen waren. Das Tal wurde enger. Die waldigen Hügel höher. In den Seitentälern sah man weiße Bergspitzen. Dann folgte die Straße einem Seitenarm des Belt River. Wir stoppten bei einer Lodge. Schiefe Holzhütten standen zwischen den Kiefern am Hang hinter dem Motel. Wir überlegten uns, ob wir hier übernachten sollten. Alles sah schäbig und verlottert aus. Vor dem Restaurant standen zerbeulte Autos. Wir hofften, oben am Pass etwas Besseres zu finden, im McNeilly war ein Skigebiet eingezeichnet. Aber da gab es keine Übernachtungsmöglichkeit. Kaputte Hügel, die im Winter als Skipisten dienten. Im Tal des Arrow River sahen die Abhänge den verlassenen Bergwerken wegen wie von Motten zerfressen aus. Hier hätte es ein Motel gegeben. Aber man wollte uns keine Kabine am Fluss geben und an der staubigen Straße mochten wir nicht übernachten.
Wir hielten an einem Aussichtspunkt. Vor uns lag die endlose Ebene des Judith Basin, grau, braun, violett, mit den grünen sich windenden Streifen der Flüsse. Eine maßlose Landschaft. Die Luft trocken und klar. Im Osten schien die Ebene aus sich selbst heraus zu fließen. Dort war die Welt zu Ende. Ich fand die ptolemäische Idee gar nicht so abwegig. Wie haben sich die Indianer in diesem Raum zurechtgefunden? Ohne Straßen, Landkarten, Wegweiser und Kompass. Es war mir ein Rätsel.
Die Piegans hatten ihr Lager hier am Fuß der Belt Mountains aufgestellt, als Schultz seinem indianischen Freund Lis‘-sis-tsi half, Pi-Tsi-Si, ein Mädchen aus dem Stamm der Gros-Ventre, zu rauben. Deren Lager befand sich ein paar Tagesritte weiter unten am Missouri, an der Mündung des Judith River. Obwohl Lis‘- sis-tsi und Pi-Tsi-Si einander liebten, weigerte sich ihr Vater, ein zorniger Medizinmann, sie Lis‘-sis-tsi zur Frau zu geben, denn die Piegans hatten seinen Sohn und seinen Bruder getötet, als die Stämme noch miteinander verfeindet waren.

Der Missouri hat bei Fort Benton einen tiefen Canyon in die Plains gegraben. Man bemerkt ihn erst, wenn man direkt davor steht.
Fort Benton ist sauber und langweilig, es liegt am Nordufer des Missouri auf einer breiten Bank. Die Weißen müssen für ihre Verbrechen an den Indianern büßen: sie sind zur Langeweile verdammt. Und zu Barbecue. Einst war das Kaff Wilder Westen pur, eine raue Frontierstadt, die Händler, Jäger, Outlaws, Trapper und Goldsucher anzog. Sie bestand aus einem Fort, lärmigen Saloons und einer Ansammlung von Blockhäusern und Planwagen. Es war der letzte Hafen im Innern Amerikas. Im Sommer legten Dutzende von Dampfern mit vielen Tonnen Fracht und hunderten von Passagieren an. Im Winter war der Schiffsverkehr eingestellt. Im Frühling empfing man die ersten Schiffe mit Kanonenschüssen und riesigem Jubel. Inzwischen mangelte es an allem. Besonders an Whiskey! Als 1883 die Eisenbahn bis Helena kam, verlor Fort Benton schnell an Bedeutung und im Sommer 1890 legte der letzte Dampfer an.
Ich versuchte mir vorzustellen, wie der achtzehnjährige Schultz im Sommer 1877 hier an Land gegangen war. Seine Aufregung. Sein vollkommenes Glück.
Das Grün der Büsche und Bäume, in denen ein warmer Wind rauschte, hob sich angenehm ab von den kahlen und wie abgebissen wirkenden Uferwänden. Ein fauliger Geruch kam vom Fluss her, Abflussrohre und eine Pumpe ragten aus dem niedrigen Wasser. Im Westen gab es dunkle Gewitterwolken, doch im Süden war der Himmel noch hell. Schwalben schwirrten mit wildem Geschrei durch die Luft. Es gab noch ein paar Holzhäuser aus der Pelzhandelszeit. Etwa jenes von J. Baker, einem Handelsagenten. Laut der Tafel an der Mainstreet, die über die Geschichte des Ortes informiert, wurde ihm das erste rein weißrassige Kind von Fort Benton geboren. Vom alten Fort, das 1846 von der Furtrade Company gebaut worden war, standen nur noch ein paar Adobemauern. Blechdächer und Maschendraht schützten sie gegen die Erosion.
Am Ufer lag ein Boot aus jener vergangenen Zeit. Drei oder vier Meter lang, breiter, flacher Rumpf, eine kleine Kabine, ein Segelmasten und ein grobes Steuer. Ich fragte mich, wie man mit diesem Ding den Missouri hinauf gekommen war.

In Montana sind die Unfallstellen, wo es Tote gegeben hat, mit weißen Stahlkreuzen markiert. Vor Browning, dem Hauptort der Blackfoot-Indianer, häuften sich die Kreuze am Straßenrand, zuweilen ganze Gruppen davon. Etliche mit Plastikblumen geschmückt.
–  Tote Indianer, sagte Michel, auf der Straße verunfallt. Man sagt, es hinge mit dem Alkoholproblem unter ihnen zusammen.
–  Es klingt wie ein Witz, antwortete ich. In den alten Tagen war Alkohol eine der Hauptursachen für den Niedergang der Indianer. Jetzt beklagt man sich, weil sie immer noch saufen.
Browning war ein trostloses Nest mitten in der Ebene. Es gab einen Super-Markt, ein paar Motels und ein Indianermuseum. Im Westen schimmerten die Rocky Mountains. Wir streiften durch das Museum, dann fuhren wir weiter. Richtung Westen. Im Museumsshop fand ich die Biographie The Life and Times of James Willard Schultz (Apikuni).

Wir übernachteten in Saint Mary. Ich las die halbe Nacht in der Biographie von Schultz.
Er wurde am 26. August 1859 in Boonville im Bundesstaat New York geboren. Die Familie war wohlhabend, kultiviert und liebte Musik. Der Vater nahm James Willard oft zum Jagen und Fischen mit. Von der freien Natur begeistert, trieb er sich zum Ärger der Lehrer lieber in den Wäldern herum, als dass er zur Schule ging. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde James Willard ein Rebell: er rebellierte gegen alles, gegen die Erziehungsmethoden der Erwachsenen, gegen die stumpfsinnige Routine der Schule, gegen die vornehmen Leute des Städtchens, gegen die Lehrerin der Sonntagsschule. Man steckte ihn in die Peckskill Military Scool. Die stupide Disziplin ödete ihn an, einzig an Englisch und Geschichte fand er ein gewisses Interesse. Im Frühling 1877 lud ihn Onkel Ben Stickney ein, der in St. Louis das Hotel Planters besass. James Willard trieb sich am liebsten an den Anlegestellen unten am Missouri herum, fasziniert von der Westernatmosphäre und dem lärmigen Treiben dort. Er telegraphierte der Mutter und bat sie um Geld, um auf einem Dampfer nach Montana zu reisen. Bis anhin war alles nur ein Traum gewesen, eine ruhelose Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit, genährt durch die Lektüre der Tagebücher von Lewis und Clark, Catlins Eight Years und The Oregon Trail, die er gelesen und immer wieder gelesen hatte.
Geplant waren Sommerferien im Wilden Westen, um einen Blick auf die endlosen Plains und die riesigen Bisonherden zu werfen und mit den Indianern in Berührung zu kommen. Dann Heimkehr nach Boonville und Eintritt in die Military Academy von West Point, wie es sich für einen Jungen aus wohlhabendem Haus gehörte. Zwei Jahre vergingen, ehe er die Heimkehr antrat, und das nur, um der Mutter und den Verwandten klar zu machen, dass er „ein Leben in der Stadt mit einem bürgerlichen Beruf, hinter einem Schreibtisch oder eingezwängt in einem Laden, einfach nicht ertragen würde“.
In Fort Benton legte er bei der Handelsfirma Baker & Co das Empfehlungsschreiben seines Onkels vor. Er lernte dort Joseph Kipp kennen, ein Halbblut und erfahrener Pelzhändler, der sich dem Greenhorn aus dem Osten annahm. Kipp sprach mehrere indianische Sprachen und war mit einer Indianerin verheiratet. Zu seinem Haushalt gehörten auch seine Schwiegermutter und deren Freundin Crow Woman. Er betrieb mit den Blackfoot-Indianern einen einträglichen Tauschhandel. Die Blackfoot gehören zur Sprachfamilie der Algonkin-Indianer und sind in drei Stämme unterteilt: die Bloods, die Piegan und die Siksika. Zu jener Zeit erstreckte sich ihr Territorium am östlichen Fuss der Rocky Mountains von Montana bis in die kanadischen Provinzen Alberta und Sakatschewan.
Schultz kam in Kontakt mit den Piegans, dem südlichsten der drei Stämme der Blackfoot-Konföderation. Er war fasziniert von ihrem ungebundenen Leben als Jäger und Nomaden und verbrachte seine Zeit lieber in ihren Zeltdörfern als auf Kipps Handelsstation. Er lernte ihre Sprache, beteiligte sich an ihren Spielen und Tänzen, zog mit ihnen über die Prärie und ging mit auf die Jagd, besonders die gefährlichen Treibjagden auf Bisons begeisterten ihn. Bald wurde er bei den Indianern als ihresgleichen angesehen und hatte schnell Freunde unter ihnen. Sie nannten in Apikuni, weissgeflecktes Bisonfell. Der erste Bison, den er erlegte, hatte ein weissgeflecktes Fell. Er mochte das Unvorhergesehene, die unsicheren Ereignisse, das Wagnis. Trotz heftigen Protesten seitens Joseph Kipp und dessen Frau Double-Strike-Woman schloss sich Schultz Kriegs- und Beutezügen gegen feindliche Stämme an. Schliesslich wurde er das, was die Weissen verächtlich einen „Squawman“ nannten. Er heiratete die sechzehnjährige Fine-Shield-Woman, die er in Mein Leben als Indianer  Näthaki nennt. Sie hatte bisher nur in den Tipis ihres Stammes gelebt, konnte weder lesen noch schreiben und sprach ihr Leben lang nur Blackfoot. Es ist eine unschuldige Liebesgeschichte, die Schultz erzählt, geprägt von den romantischen Gefühlen junger Menschen.
Das Aussergewöhnliche an Schultz ist nicht die Tatsache, dass er zu einer Zeit nach Montana kam, als es noch entlegenes, schwer erreichbares Territorium war und unter den Indianern gelebt hat – das haben andere Weisse auch getan. Schultz kannte Dutzende von ihnen und hat ihre Geschichten in seinen Büchern erzählt. Das Aussergewöhnliche war, dass er in seinem Notizbuch alles aufschrieb, was er sah, hörte und erlebte. Er war ein aufmerksamer Beobachter der Sitten, Bräuche und Rituale der Blackfoot. Er sprach fliessend ihre Sprache, dachte wie sie und liebte wie sie gute Geschichten, das heisst aufregende und spannende Geschichten. Er beschreibt auf eindrückliche Art die religiösen Vorstellungen der Indianer und das magische Verhältnis, das sie zur Wirklichkeit hatten.
Kipp und Schultz tauschten nicht nur Waffen, Munition, Textilien, Lebensmittel und Haushaltsgegenstände gegen Felle und Pelze ein; zu ihrem Stock gehörte auch ein beachtlicher Vorrat an Whiskey, auf den die Indianer genauso scharf wie die Weissen waren. Sie verdünnten den Whiskey im Verhältnis 1:4 mit Wasser. Im Gegensatz zu anderen Händlern peppten sie den Schnaps nicht mit Tabak, Pfeffer und Schlangenköpfen auf. Obwohl Schultz später klar war, dass der Whiskey wesentlich zum Niedergang der indianischen Kultur auf den Plains beigetragen hatte, hat er den Handel damit nie bereut. Er war nicht nur Barkeeper auf offener Prärie, sondern wie viele amerikanische Autoren dem Stoff selber zugetan.
Das aufregende Leben als Pelzhändler, Jäger und „weisser Indianer“ dauerte für Schultz gerade sechs Jahre. Mit der Ausrottung des Bisons brach die Subsistenzwirtschaft der Plains-Indianer zusammen. Weisse Büffeljäger und Sportsschützen waren die übelsten Schlächter gewesen, auf ihr Konto gingen Millionen der Prachtstiere, aber auch die Indianer töteten wegen ihrer zunehmenden Abhängigkeit von den Gütern der Weissen mehr Tiere, als sie zum Leben benötigten. 1882 war es in Montana mit dem Pelzhandel vorbei, ein Jahr später sah Schultz den letzten Bison auf den nördlichen Ebenen.
Als die Nothern Railway bis Helena kam, gab die Regierung das Land zur Besiedlung frei und die Siedler strömten nach Montana. Die Zeit des freien Umherstreifens war endgültig vorbei. Mit den Siedlern kamen die rassistischen Vorurteile, die Engstirnigkeit, die Zäune, die Gesetze und die Besitzansprüche. Ein neuer Typ Händler tauchte auf, einer, der alles bis auf den letzten Cent berechnete, die alteingesessenen Händler mit ihrer grosszügigen Art hatten da nichts mehr zu suchen, ebenso wenig frei umherstreifende Indianer. Die Armee übernahm die Kontrolle des Territoriums und wies die Indianer ins Reservat. Sie hatten dort keine Jagdmöglichkeiten mehr, die von der Regierung versprochenen Lebensmittel blieben aus. Die grossen Pferdeherden, einst der Stolz der verwegenen Reiter der Plains, gingen an einer Hautkrankheit ein oder mussten an gerissene Händler für Nahrungsmittel verpfändet werden. Über sechshundert Piegan-Indianer starben im Winter 1883/84 an Hunger.
Schultz und Kipp versuchten es als Farmer. Doch sie scheiterten. Sie verstanden nichts von der Farmerarbeit und Schultz hatte wenig Lust, sich damit zu beschäftigen.
„Keiner von uns konnte jene vergangenen Tage voller Glück und Freude vergessen – die scharfen Heimritte, wenn ich nach einer erfolgreichen Jagd abends ins Lager, in mein behagliches Zelt kam, die herzliche Freundschaft unserer Piegan-Freunde und –Verwandten, und vor allem das Abenteuer der freien und offenen Prärien, den Anblick des zottigen braunen Meeres, soweit das Auge reichte.“
Mit diesen Worten endet Mein Leben als Indianer.

Ein Passagier, der Ende August 1885 in Fort Benton an Land ging und von Schultz abgeholt wurde, war Georg Bird Grinnell; Zoologe, Historiker und Ethnologe von Beruf. Er entsprach nicht dem Bild eines konventionellen Gelehrten, denn er hielt sich lieber draussen in der Wildnis als im Studierzimmer auf. Er war Herausgeber von Forest & Stream, einer Zeitschrift für Sport, Jagen und Fischen.
Die Artikel, die Schultz unter seinem indianischen Namen Apikuni über sein Leben bei den Blackfoot-Indianern und den Jagdabenteuern in den Rocky Mountains für Forest & Stream schrieb, hatten Grinnells Neugier auf Montana geweckt.
Grinnell war so begeistert vom Gebiet rund um die Seen von St. Mary und Swift-Current, dass er von nun an jeden Sommer in die Nordwestecke Montanas reiste. Auf seinen Expeditionen fertigte er systematisch geographische Skizzen an, sammelte Messdaten und machte schriftliche Aufzeichnungen. Schultz und ein paar andere Männern aus der Frontierzeit begleiteten ihn.
Grinnell drängte Schultz, die im Forest & Stream veröffentlichten Skizzen zu einem Buch auszuarbeiten. In seinen Augen war Schultz „der Entdecker der oralen Literatur der Blackfoot“, denn Schultz hatte die einzigartige Fähigkeit besessen, gesprochenes Blackfoot unmittelbar ins Englische zu transponieren. Doch dem Abenteurer lag nichts an dieser Idee, er ging lieber auf die Jagd.
Grinnell fürchtete, dass die Gegend Bodenspekulanten oder Goldschürfern zum Opfer fallen könnte und setzte sich dafür ein, dass ein Naturpark daraus wurde. Er musste etliche Fehlschläge und Blockierungen durch den US-Senat hinnehmen, bis der damalige Staatspräsident, William Howard Taft am 11. Mai 1910 ein entsprechendes Gesetz unterschrieb. Ein Territorium von 44’000 km² wurde zu Glacier Park. In der Folge reisten zahlreiche wohlhabende Naturfreaks und Berggänger aus dem Osten an: Bankiers, Staatssekretäre, Zeitungsverleger und populäre Schriftsteller. Schultz und andere Bisonjäger aus den alten Tagen dienten ihnen als Bergführer.

Am nächsten Tag wanderten Michel und ich im Two Medicine Valley am Fuß des Rising Wolf Mountains vom mittleren zum dritten See und auf der anderen Seite wieder zurück. Als wir über eine Waldlichtung gingen, sahen wir die scharfen Zacken des Pumpelly Pillars, der wie eine Lanzenspitze in den Himmel ragte und gegenüber der Sinopah Mountain, ein Tipi aus Fels und Schnee. Da war der Lone Walker Mountain und nicht allzu fern der Chief Lodgepole Peak. Früher hatten die Berge keine Namen. Grinnell und Schultz haben ihnen Namen gegeben. Indianische Namen. Zum Verdruss vieler Weißen. Bis zu den Twin Falls begegneten wir nur einem einzigen Paar, das laut miteinander sprach, wohl aus Angst vor Bären. An den Twin Falls saß eine ganze Familie und am hintersten See kam uns eine Gruppe von Campern entgegen, die alle ein verdrossenes Gesicht machten. Zwischen zwei Bäumen war ein Drahtseil gespannt, daran hing ein riesiger Sack, aus dem Aluminiumbügel und zwei Paddel herausragten. Ein Knabe rannte herum. Zwei ältere Männer schauten uns böse an. Sie sahen wie blöde amerikanische Outdoor-Nazis aus. Auf dem Rückweg sahen wir sie am Ufer sitzen und ein Kanu aus Aluminiumbügeln zusammensetzen.
Auf einer Rough Road mit tiefen Schlaglöchern fuhren wir zum untersten der drei Seen, wo einige Indianer campten. Die Indianer hatten ihre Wohnmobiles und die alten, verbeulten Autos im Schatten von Kiefern und Baumwollbäumen abgestellt, so wie sie früher ihre Zelte aufgestellt hatten. Sie sassen auf Campingstühlen um einen Grill herum und brieten Würste. Im Wasser spielte ein grosser Indianer mit einem Haufen Kinder. Der Indianer hatte einen dicken, weissen Bauch. Verdammt, dachte ich, die Indianer sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Steine unter meinen Fusssohlen waren scharf wie Pfeilspitzen.
 Schön hier, nicht, sagte der Indianer mit dem dicken, weissen Bauch zu mir.
–  Oh, ja. Sehr schön, antwortete ich ihm.
–  Magst du die Gegend?
–  Sehr, sie ist unglaublich schön. Ich könnte hier leben.
Ich schwamm in den See hinaus, kehrte aber rasch um, als ein riesiger Adler mit einem trockenen Laut haarscharf über meinen Kopf hinweg glitt. Hielt das blöde Vieh mich für einen Fisch? Ich schaute zu den Indianern hinüber, um zu sehen, ob sie meine Angst vor dem Raubvogel bemerkt hätten und nun lachten. Doch sie nahmen keine Notiz von mir, schrien und plantschten im Wasser und spritzten sich gegenseitig an.

Im Winter 1903 floh Schultz aus Montana, um dem Gericht in Choteau zu entgehen. Er war als lizenzierter Bergführer der Wilderei angeklagt. Im Sommer hatte ihn Ralph Pulitzer, der Sohn des New Yorker Verlegers und Preisstifters, als Führer engagiert. Trotz Schonzeit schoss Pulitzer vier Bighornschafe. Der Frevel wurde entdeckt und da Pulitzer bereits abgereist war, wurde die Tat Schultz angelastet.
Die Flucht über Seattle nach San Francisco war sein letztes grosses Abenteuer, ein Wendepunkt in seinem Leben.
Was sollte jemand in einer modernen Stadt, dessen berufliches Portfolio Beschäftigungen wie Pelzhändler, Jäger und Bergführer auswies? Wieder drängte Grinnell ihn dazu, die Geschichte seines Lebens bei den Blackfoot aufzuschreiben. Schultz verfügte über keine finanziellen Reserven und musste sich erst einmal nach einer Arbeit umsehen. Er bewarb sich für einen Job bei der Werbeabteilung einer Ölfirma, die ihre Bohrfelder im San Joaquim Valley hatte, und er erhielt ihn. Zwei Jahre später ging er nach Arizona, um bei den archäologischen Ausgrabungen der Casa-Grande-Ruine in der Nähe von Phoenix zu helfen. In der Freizeit schrieb er.
1907 erschien My Life as an Indian mit einem Vorwort von Grinnell. Heute zählt es zu den Klassikern des Western-Genres, einer Aussenlinie der amerikanischen Literatur, von der gebildeten Literaturkritik verachtet. Es ist nicht eine Autobiographie im wörtlichen Sinn, es ist auch mehr als ein Dokument aus der Frontier- und Pelzhandelszeit des amerikanischen Westens. Es ist die Suche nach der verlorenen Zeit, den alten Tagen der Indianer, und es ist eine Hymne und Liebeserklärung an seine Pieganfrau Fine-Shild-Woman oder Näthaki, die 1902 im Spital von Great Falls an einem Herzversagen gestorben war.
Im gleichen Jahr wurde Schultz Literaturredaktor bei der Los Angeles Times und heiratete die zwanzig Jahre jüngere Journalistin Celia Belle Hawkins aus Michigan, die er per Zeitungsannonce kennengelernt hatte. Ihr Lebensmuster war so unterschiedlich, dass Freunde kaum glauben konnten, dass sie ein verheiratetes Paar waren. Fünf Jahre später gab Schultz den Job bei der Los Angeles Times auf und konzentrierte sich ganz aufs Schreiben von Büchern. Nun erschien ein Buch nach dem anderen, siebenunddreissig werden es bei seinem Tod im Jahre 1947 sein, die meisten davon sind Abenteuerbücher für Jugendliche. Es scheint fast so, als ob er seinen Traum von der freien Prärie und dem Leben bei den Indianern ins Alter hinüber gerettet hat, in dem er Bücher darüber schrieb. Was einmal Wirklichkeit gewesen war, schöpfte er nun aus seiner Phantasie. In den 1920-ger Jahren erreichten seine Bücher eine Popularität, die bei jüngeren Lesern an Kult grenzte.
Im Sommer 1915 wollte er mit Joseph Kipp die Panama-Pacific-Exposition in San Francisco besuchen und anschliessend mit ihm nach Montana reisen. Kurz davor starb Kipp an einem Herzversagen, damit war sein engster Freund aus den Trading-Tagen zu den ‚Sand Hills‘ gegangen, wie die Blackfoot das Totenreich bezeichnen.
Nachdem sich Schultz vergewissert hatte, dass sein Fall verjährt war, wagte er sich nach mehr als zehn Jahren wieder nach Montana. Er überliess Clelia den vornehmen weissen Damen des Bridge Clubs in Browning und verschwand. Oft für mehrere Tage, ohne dass seine Frau gewusst hätte, wo er steckte. Er ritt wie einst über die weiten Plains, die ihn so tief geprägt hatten und suchte seine alten Freunde auf.
Er kam nun fast jeden Sommer nach Montana. Mit eng befreundeten Indianern unternahm er ausgedehnte Camptrips an den Osthängen des Glacier Parks. Die Indianer stellten ihre Zelte an Plätzen auf, zu denen sie aufgrund von besonderen Begebenheiten eine tiefere Beziehung hatten. Aus den Geschichten und Legenden, die sie da erzählten, entstand Blackfeet Tales of Glacier Park. Schultz hätte es sich nicht leisten können, zwei Monate lang mehr als dreissig Leute zu versorgen und bat Louis W. Hill, den Präsidenten der Great Nothern Railway Company um finanzielle Unterstützung. Hill hatte im Glacier Park ein paar Hotels aufgemacht und erhoffte sich von der Publikation des Buches eine unkonventionelle, aber nicht minder einträgliche PR-Werbung. Auf diese Art kamen auch die Bücher Friends of My Life as an Indian und Signposts of Adventure zustande.
Als Schultz die Great Nothern Railway Company erneut um finanzielle Unterstützung anging, wurde sie ihm verweigert. Man hatte erfahren, dass er im Jahr zuvor in der Nähe von Alberta (Kanada) verhaftet worden war, weil er auf der Indianerreservation, trotz striktem Verbot, Whiskey bei sich hatte. Ausserdem war er in Begleitung einer Frau, die nicht seine eigene war. Er hatte Jessica Donaldson, eine College-Lehrerin und Anthropologin, bei einem Nachtessen von gemeinsamen Freunden kennengelernt. Tief beeindruckt von ihrem fundierten Wissen über die Crow-Indianer, den einstigen Todfeinden der Blackfoot, und ihrem enthusiastischen Interesse an allem, was mit den Indianern zu tun hatte, lud er sie zum Sonnentanz der Bloods ein, dem nördlichsten Stamm der Blackfoot. Sie sagte begeistert zu, musste aber zu ihrer Verwunderung feststellen, dass nicht nur Schultz Frau fehlte, sondern dass sie die zwei einzigen Weissen unter einigen tausend Indianern waren.
Nach intensiven Recherchen über die Sonnentanz-Zeremonie der Plains-Indianer, schrieben sie gemeinsam das Buch The Sun God’s Childern, das einzige Buch von Schultz, das eine gewisse faktische Seriosität hat. Georg Bird Grinnell beklagte sich in seinen Briefen oft darüber, dass Schultz es mit Daten und Fakten nicht besonders genau nahm. Warren L. Hanna listet in seiner Biographie etliche Widersprüche, Irrtümer und Ungenauigkeiten in Schultz Büchern auf. Schultz kam es mehr auf die verborgene erzählerische Kraft einer Geschichte und weniger auf faktische Genauigkeit an, auf Spannung, Tempo, Atemlosigkeit. Der Ethnologe Keith C. Seele betont im Vorwort zu Blackfeet and Buffalo, dass die Geschichten von Schultz trotz faktischen Ungenauigkeiten immer auf tatsächlichen Ereignissen beruhen und präzis geschilderte Details aus dem Leben der Blackfoot enthalten.
Schultz liess sich von Clelia Hawkins scheiden und heiratete im April 1931 Jessica Donaldson. Er war siebzig Jahre alt. Die ersten drei Ehejahre waren von Krankheit und Geldsorgen gekennzeichnet. Jessica fand keine Arbeit im krisengeschüttelten Amerika und Schultz schleppte sich einer Verletzung an den Rückenwirbeln wegen von einem Arzt zum anderen. Er schrieb nur noch wenig. Obwohl sich seine Bücher immer noch in hohen Auflagen verkauften, war sein Stern am Verblassen.
Am 11. Juni 1947 starb James Willard Schultz im Alter von achtundachtzig Jahren. An diesem Tag gab es einen heftigen Schneesturm auf der Wind-River-Reservation, wo sie inzwischen lebten, weil Jessica da Arbeit gefunden hatte. Sie erinnerte sich, dass die Blackfoot gesagt haben, es gäbe Sturm, wenn ein grosser Häuptling stirbt.

Am nächsten Tag machten wir eine Wanderung um den Going-To-The-Sun-Mountain. Der Weg ging durch die Sunrift Gorge mit ihren dunklen, grünen Felsen, dann das steil ansteigende Tal des Baring Creek hinauf. Der nackte Felsen des Berges glänzte im Mittagslicht. Wir waren spät dran. Als wir oben ankamen, sahen wir im Osten den Single Shot Mountain. James Willard Schultz hatte den Berg so getauft, als Grinnell mitten im grössten Schneegestöber ein Bighorn-Schaf mit einem einzigen Schuss aus beträchtlicher Distanz niedergestreckt hatte. Die „wilde und primitive Erregung“, die der Schuss in ihm auslöste, irritierte Grinnell. „Es ist schockierend, dass ein anständig zivilisiertes und wohl geordnetes Wesen einem so brutalen Gefühl nachgibt. Es zeigt, wie dünn die Schicht der Zivilisation ist, die das Brutale in unserer Natur überdeckt und wie leicht diese Schicht weggeputzt wird und darunter sich der Charakter eines Tieres zeigt.“
Hinter dem Going-To-The-Sun-Mountain ging es durch einen mit Farn überwachsenen Zedernwald hinunter. Lichtbahnen schnitten in den schattigen Wald hinein. Der Farn wurde höher, der Weg unkenntlicher. Er schien bloß noch von Bären und Wölfen benutzt zu werden. Eine unheimliche Stille. Nur das Geräusch der eigenen Schritte und das Rascheln des Farns. Nach mehr als einer Stunde hörten wir Autogeräusche, dann kamen wir zur Passstraße. Auf der anderen Seite der Straße führte der Weg zu den Deadwood Falls hinunter. Wieder war es sehr still, einzig das Rauschen des Wasserfalls war zu hören. Wir lauschten, ob es Bären gäbe. Es war schon halb sieben und die Schatten im Wald wurden länger. Wir hatten keine Ahnung, wie weit es noch bis zum Wagen war und in welche Richtung wir gehen sollten. Meiner Meinung nach war es nicht falsch, wenn wir flussabwärts wanderten. Es schien ewig zu dauern, bis wir endlich das obere Ende des St. Mary Sees erreichten. Nachdem wir ein Stück weit am See entlang gegangen waren, bog ich instinktiv vom Weg ab und stieg den Abhang hoch. Es war kaum zu fassen, als ich auf die Straße trat, sah ich unser Auto fünfzig Schritt weiter vorne stehen, genau dort wo wir es vor acht Stunden abgestellt hatten.

Kurz vor acht Uhr brachen wir zum Grinnell Glacier auf. Kein Mensch war um diese Zeit unterwegs. Es war ein grauer und windiger Morgen. Die Dame an der Rezeption im Many Glacier Hotel hatte gesagt, dass es am Nachmittag regnen würde.
Der Weg führte am linken Ufer des Swiftcurrent-Sees durch den Wald, dann ging es am Fuss des Grinnell-Peaks dem Lake Josephine entlang. Die Blackfoot-Indianer nannten ihn Eifersüchtige-Frau-See. Am hinteren Ende des Sees gabelte sich der Weg; der andere Pfad führte zum Piegan-Pass hinauf, von wo aus man wieder zum Going-to-the-Sun-Mountain hätte wandern können.
Einst war der Weg von den Kutenai benützt worden, einem Stamm der Berglandindianer. Der Weg ging aufwärts, Buschwerk, niedrige Kiefern und hohes Gras. Tief unten auf der Talsohle sahen wir eine Elchkuh im Fluss stehen und Wasser saufen. Wir stiegen rasch höher und klatschten aus Angst vor Bären ständig in die Hände. Im Hotel hatte man uns erzählt, dass kürzlich in der Nähe des Gletschers ein Mensch von einem Grizzlybär angefallen worden war.
Plötzlich standen wir vor dem Gletscher. Oder dem, was davon noch übrig geblieben ist. Auf Fotos aus dem Jahre 1887 reichte er fast bis an die Oberkante des Garden Wall. Bereits Grinnell hatte seinen Gletscher kaum wiedererkannt, als er 1926 seine letzte Wanderung durch den Park machte, so krass war das Eis zurückgegangen. Jetzt lag der Gletscher in einer Mulde. Er hatte Abschnitt um Abschnitt den schwarz-gelben Fels freigegeben. Weiter oben war die Oberfläche des Felsen mit Kreisen gemustert, die wahrscheinlich von Mühlsteinen stammten. Am Fuss des Gletschers hatte sich ein milchig grüner See gebildet, Eisstücke schwammen darin. Wir gingen das Ufer entlang. Auf einer Klippe sahen wir ein riesiges Bighorn-Schaf liegen.
Ich wäre gern bis zur Kante des Garden Wall hochgeklettert, um zu sehen, wohin der Weg auf der anderen Seite führte. Doch dunkle Wolken zogen herauf. Wir setzten uns auf einen trockenen Felsen und packten unser Picknick aus. Kaum hatten wir zu Essen begonnen, fing es zu regnen an. Ein Donnerschlag. Ich schrak zusammen. Wir packten das Picknick eilig ein und machten uns auf den Rückweg. Inzwischen liefen Dutzende von Menschen auf dem Gletscher herum. Der Regen wurde stärker. Wir zogen uns die Plastikpelerinen über, die wir in East-Glacier gekauft hatten.

Das Many Glacier Hotel, eine Art Grand Hotel im Blockhausstil, liegt direkt am Swiftcurrent See. Rechts davon ragt der Mount Grinnell wie der Bug eines Schiffes in den See und auf der hinteren Seite des Hotels ist der Mount Apikuni zu sehen. Ich lag auf dem Bett und dachte über die Frontiermänner nach, über William Jackson, Jack Monroe, Joseph Kipp und James Willard Schultz. Sie hatten Grinnell regelmässig auf seinen Expeditionen im Glaciergebiet begleitet. Sie waren zu einer Zeit in den Westen gekommen, als die Indianer noch die Herren der Prärie waren. Als der letzte Bison von den Plains verschwand, ging für sie mehr als ein aufregendes Abenteuerleben zu Ende. Wie die Indianer konnten sie sich den neuen Verhältnissen nur schlecht anpassen und wussten nicht, was sie nun mit sich anfangen sollten. Zu einer regulären Arbeit hatten sie wenig Lust, an Farmerarbeit lag ihnen nichts. Da waren ihnen die wohlhabenden Männer aus dem Osten willkommen, die ortskundige Begleiter für die Jagd suchten.
„Ich sah sie vor mir“, schreibt Grinnell, „die Gestalten und Gesichter dieser ernsten und stillen Männer, die einmal meine Freunde waren. Sie haben ihren letzten Schuss abgegeben und das letzte Lagerfeuer angefacht, nun sie sind über den Bergrücken gegangen, die letzte grosse Kontinentalscheide. Sie waren die Helden aus jenen Tagen, doch von diesem heroischen Schlag sind nur ein paar wenige übrig geblieben. Chronische Krankheiten, die Stürme des Winters und Pistolenkugeln haben ihre Reihen ausgedünnt. Und nichts ist nachgekommen und nichts wird nachkommen, um diese leeren Lücken zu füllen. Die Bedingungen, die diese Männer zu dem machten, was sie waren, existieren nicht mehr.“

Der Weg zum Swiftcurrentpass führte an kleinen Seen und Wasserfällen vorbei. Das luftige Grün der Espen, Birken und Baumwollbäume inmitten von dunklen Kiefern und silbrigen Weiden.
Am Ende des Tals ging es in engen Serpentinen zum Pass hinauf. Michel und ich gingen sehr schnell. Bald überholten wir die Wandergruppe, die weit voraus war, kurz darauf zwei deutsche Paare. Vom Pass aus stiegen wir auf den Bergbuckel linkerhand. Die Schieferhänge des Mount Grinnell, den wir jetzt von hinten sahen, glänzten in der Sonne.
Wir sahen zwei Bighorn-Schafe auf einem Felsvorsprung in der Sonne ruhen. Sie erhoben sich sehr langsam, als wir auf sie zugingen, um sie zu fotografieren. Später sahen wir noch einige Bergziegen mit sehr weissem Fell.
Auf der Talsohle glitzerten die im Grün eingebetteten Seen wie Spiegelscherben. Im Westen taten sich Staffeln von blauen Bergspitzen auf und im Osten sahen wir die braunen Weiten der Plains. Wir standen auf der Kontinentalwasserscheide, auf der einen Seite flossen die Flüsse dem Pazifik zu, auf der anderen nach dem Atlantik. Die Rocky Mountains, das Rückgrat Amerikas, teilen den Kontinent in zwei Sphären, das spürte ich deutlich, als ich da oben auf der windigen Kuppe des Berges stand.